Lawinen-, Steinschlag- und Felsabbruchverbauungen im Benediktentobel oberhalb von Langen a/A (Foto: Benedikt Rödel).

Kaum eine andere Bahnstrecke Österreichs ist so sehr lawinengefährdet wie die Westrampe der Arlbergbahn. Sowohl die klimatischen Verhältnisse im Klostertal (großer Schneereichtum) als auch der Talbau (steile Talflanken) begünstigen den Abgang von Lawinen.

In der Regel stellen insbesondere Lawinenbahnen im Bereich von Wildbachrunsen und Waldschneisen, welche einen mittleren Böschungswinkel von 30° bis 45° aufweisen, eine Gefahr für den Bahnbetrieb dar. Die Anbruchgebiete der großen Lawinen befinden sich vorwiegend zwischen der Waldgrenze und dem Kammbereich.

Kleine in der Felsregion abgehende Lawinen führen nur selten zu einer Beeinträchtigung des Fahrbetriebs, sie stellen allerdings dann eine Gefahr dar, wenn sie am Fuße der Felswände auf abbruchbereite Schneemassen auftreffen, wie dies auf der Arlbergbahn-Westrampe beispielsweise im Großtobel sowie in den Passürtobeln recht häufig der Fall ist.

Bisweilen führen die im Steilgehänge des Blisadonakopfes abbrechenden Schneemassen, welche sich oftmals oberhalb des Blasegg in 1974 m teilen, zum gleichzeitigen Abgang der Großtobel- und der äußeren Passürtobellawine, seltener auch noch zum Abgang der Benediktentobellawine.

Ferner kommt es gelegentlich durch die in den Felsregionen des Gipsbruch- und Mühltobels abgehenden Schneemassen zu gleichzeitigen Lawinenabgängen in den beiden Tobeln.

Nur in wenigen Bereichen gibt es ausreichend große Hangterrassen, die in der Lage sind, solche Lawinen aufzufangen. Bei Lawinenzügen, die ein trichterförmiges Einzugsgebiet, in dem sich mehrere Hangrunsen vereinigen, aufweisen, ist allergrößte Vorsicht geboten. Hier ist in schneereichen Wintern bedingt durch den gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Abgang mehrerer Lawinen eine Beeinträchtigung des Fahrbetriebs zu befürchten.

Dies gilt insbesondere für den äußeren Passürtobel in Langen a/A, den Großtobel in Klösterle, den Mühltobel in Dalaas und für den Schanatobel in Innerbraz. So kam es im Winter 1951/52 im Mittellauf des Mühltobels innerhalb von zwei Monaten zum Abgang von 12 Lawinen (Tiefenthaler: 106-107).

In der Regel tragen vor allem große Neuschneezuwächse zu einer erhöhten Lawinengefahr bei. Die größten Neuschneemengen fallen insbesondere in den Monaten Jänner und Februar. Von den 1480 im Zeitraum von 1884 bis 1968 auf der Arlbergbahn-Westrampe registrierten Lawinenabgänge ereigneten sich 69,4% in diesen beiden Monaten (40,6% im Jänner, 28,8% im Februar).

Allerdings gilt es darauf hinzuweisen, daß sich die in den Katastrophenjahren 1951 und 1954 registrierten Lawinenabgänge massiv auf diese Häufigkeitsverteilung ausgewirkt haben. Werden die im Jänner 1951 und im Jänner 1954 erfaßten Lawinenereignisse nicht berücksichtigt, entfallen von den übrigen 1276 registrierten Lawinenabgängen 30,8% auf den Jänner und 33,5% auf den Februar.

Arlberg-Schneerechen zwischen Wald a/A – Dalaas im km 117,9 (Foto: Michael Laublättner).

Allerdings können neben Neuschneezuwächsen auch andere Faktoren den Abgang von Lawinen begünstigen. So wird gegen Ende des Winters der Schneedeckenaufbau durch das Eindringen von Schmelz- und Regenwasser nachhaltig beeinträchtigt, weshalb das Auftreten von Naßschneelawinen zu befürchten ist.

Obgleich die Zahl der im Spätwinter bzw. Frühling auftretenden Lawinen äußerst gering ist, muß jedoch auch im April und Mai nach ergiebigen Schneefällen mit Lawinenabgängen gerechnet werden, wie folgendes Beispiel zeigt. Im Jahre 1917 wurde die maximale Schneehöhe auf der Arlbergbahn-Westrampe erst am 22.04. erreichet, diese betrug im Bahnhof Langen a/A 274 cm.

Am selben Tag kam es schließlich zum Abgang von mehreren großen Lawinen, welche die Bahnstrecke an mehreren Stellen verschütteten, dies betrifft unter anderem die Benediktentobel-, Passürtobel-, Mühltobel- und Muttentobellawine.

Die Aufzeichnungen über die Lawinenereignisse auf der Arlbergbahn-Ostrampe sind sehr lückenhaft, dennoch kann festgestellt werden, daß die Lawinengefahr hier ungleich geringer ist. Dies liegt darin begründet, daß das Klostertal vermehrt dem ozeanischen, das Stanzertal hingegen vermehrt dem kontinentalen Klima ausgesetzt ist.

Die Erhebungen des Arlberggebiets erweisen sich als natürliche Barriere für die feuchten von W und NW einfallenden Winde, weshalb auf der Westseite des Arlbergs in den Wintermonaten die größeren Niederschlagsmengen zu verzeichnen sind.

So kommt es durch stürmische Nordwestwinde oftmals zu beachtlichen Neuschneezuwächsen, doch auch die relativ milden Westströmungen sorgen für nicht minder beachtliche Neuschneemengen, bisweilen bewirken sie zugleich einen Anstieg der Temperatur, wodurch die Lawinengefahr erhöht wird (ibidem: 111-113).

Inwieweit sich Lawinenabgänge auf die Anlagen und den Betrieb der Arlbergbahn auswirken, soll in folgendem Abschnitt erläutert werden.

Bereits drei Monate nach der Aufnahme des Fahrbetriebs auf der Arlbergbahn im Jahre 1884 wurde die Bahnstrecke erstmals von einer Lawine verschüttet. Im Februar 1888 kam es erneut zu einem beachtlichen Lawinenereignis, bei dem das Aufnahmegebäude von Langen a/A bis zum ersten Stockwerk verschüttet wurde und bei dem drei Personen den Tod fanden.

Im Zeitraum von 1884 bis 1970 ereigneten sich allein auf der Arlbergbahn-Westrampe insgesamt ca. 1500 Lawinenabgänge. Diese verursachten immer wieder Schäden an Brücken, Fahrleitung, Postenhütten, Wächterhäuschen und anderen Verkehrseinrichtungen.

Bisweilen fuhren Triebfahrzeuge auf Lawinenschnee auf, wodurch es in einzelnen Fällen zu Entgleisungen, allerdings nie zu folgeschweren Unglücksfällen kam (ibidem: 125-126).

Meßstelle Langen-Blasegg der ÖBB auf 1850 m Höhe. Erfaßt werden Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Schneehöhe. Die Windmessung erfolgt auf 1990 m Höhe (Foto: Benedikt Rödel).

Es mag verwundern, daß trotz der Inangriffnahme der Verbauungstätigkeiten im Jahre 1890 bis 1970 kein nennenswerter Rückgang der Lawinenabgänge erzielt werden konnte. So sind auf der Arlbergbahn-Westrampe im Zeitraum von 1890 bis 1930 insgesamt 725 und im Zeitraum von 1930 bis 1970 insgesamt sogar 746 verkehrsbehindernde Lawinenabgänge verzeichnet.

Die Lawinenereignisse der fünfziger und sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts machen deutlich, daß in schneereichen Wintern die Stützverbauungen nur teilweise in der Lage waren, das Abgehen von Oberlawinen zu verhindern. Dennoch konnte die Lawinengefahr bedingt durch die anhaltenden Verbauungstätigkeiten und Aufforstungen in vielen Bereichen deutlich vermindert werden.

Ereigneten sich im Streckenabschnitt Langen a/A – Wald a/A (km 111,0-115,0) bis 1920 noch 59% der verkehrsstörenden Lawinen, konnte dieser Wert in der Folgezeit drastisch gesenkt werden. Der Anteil der verkehrsstörenden Lawinen betrug hier im Zeitraum von 1940 bis 1970 lediglich 18%.

Seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erwies sich der Streckenabschnitt Wald a/A – Dalaas im Bereich des Mühl- und Gipsbruchtobels (km 119,0-120,0) als lawinengefährdet. Im Zeitraum von 1960 bis 1970 ereigneten sich hier 32% der verkehrsstörenden Lawinen. Inzwischen konnte aber auch dieser Bereich mithilfe von neuen Galerien ausreichend gegen Lawinenabgänge gesichert werden.

Zu den gefährlichsten Lawinen auf der Arlbergbahn-Westrampe mußte lange Zeit auch die Muttentobellawine gezählt werden, welche im Jahre 1954 das Bahnhofsgebäude von Dalaas nahezu vollständig zerstörte. Mit dem Auftreten dieser Lawine mußte durchschnittlich jedes fünfte Jahr gerechnet werden. Aber auch hier konnte die Gefährdung des Bahnhofsbereiches durch die Herstellung von Stützverbauungen weitgehend behoben werden (ibidem: 126-127).

Durch Lawinenabgänge auf der Arlbergbahn-Westrampe kam es im Zeitraum von 1884 bis 1971 zu Verkehrsunterbrechungen von insgesamt 137 Tagen. Verkehrsunterbrechungen von mindestens zehn Tagen Dauer ereigneten sich in diesem Zeitraum in den Jahren 1888 (12 Tage), 1907 (10Tage), 1923/24 (13 Tage) und 1968 (24 Tage). Die Dauer dieser Betriebsstörungen ist teils auf die lang anhaltende hohe Lawinengefahr, teils auf die Zerstörung von Bahnbrücken (1888, 1968) zurückzuführen.

Die längste Verkehrsunterbrechung von 24 Tagen wurde wie bereits erwähnt durch den Abgang der Schanatobellawine im Jahre 1968 verursacht, welche die gleichnamige Schanatobelbrücke zerstörte. Dies hatte im Zeitraum vom 27.01. bis zum 20.02. die Umleitung von 126 Schnellzügen, 23 Sonderzügen und 259 Güterzügen über deutsches Staatsgebiet zur Folge (ibidem: 128).


Literaturverzeichnis:

Tiefenthaler, Helmut. Innsbrucker geographische Studien. Bd. 1: Natur und Verkehr auf der Arlberg-Westseite. Hg. F. Fliri und A. Leidlmair. Innsbruck: Geographisches Institut der Universität Innsbruck, 1973.


(Autor: Michael Laublättner)